Katja Berger

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Wir sind im selben Ort, ja sogar in der selben Straße aufgewachsen. Irgendwann nach der Schule haben sich unsere Wege getrennt. Du bist in den Westen gezogen, ich bin in der Steiermark geblieben. Wie sehr hat dich der Ort deiner Kindheit geprägt, oder anders gefragt: wie leer oder wie beschrieben war dein weißes Papier?

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Wenn ich an die Zeit meiner Kindheit denke, wird mir klar, dass sehr viel von dem, was meine Arbeit heute ausmacht, damals schon da war. In meinem Elternhaus war Kunst kein Thema, jedenfalls keines, über das man gesprochen hätte. Dabei hat meine Mutter unser Haus förmlich mit Kreativität aufgeladen. Sie hat gehäkelt, genäht, geklöppelt, gestrickt und war eine leidenschaftliche Köchin. Die Freude und Zufriedenheit die sie darin fand, kann ich erst heute richtig nachvollziehen.

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Dein kreatives „Coming-out“ kam relativ spät, oder besser gesagt in Etappen. Wie kam es dazu?

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Vermutlich waren es verschiedene Ereignisse und Begegnungen die schlussendlich dazu geführt haben. Da war das Zusammentreffen mit dem Kunsthistoriker Wenzel Mracek, der damals noch Student war. Aber auch der Austausch mit dem amerikanischen Fotokünstler Charles Trainor Jr. Ich traf ihn in meinen Zwanzigern als ich für ein Jahr in die USA ging. Charly arbeitete gerade an einer Fotoserie über Haitische Flüchtlinge mit dem Titel „The Corridor“. Das hat mich berührt und inspiriert. Die Energie dieser Arbeit ist damals in gewisser Weise auf mich übergegangen.

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Deine Arbeiten sind Ergebnis zweier Leidenschaften. Jener für Collagen und jener für die Fotografie. Wann war klar, dass das deine Ausdrucksform sein würde?

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Es ist beinahe 10 Jahre her, als sich diese Idee immer stärker in den Vordergrund gedrängt hat. Anfangs hatte ich Angst, es könnte ohnehin zu spät für alles sein. Ich hatte die Befürchtung, dass ich für den Eintritt in die Kunstwelt schon zu alt sei. Ich hatte geheiratet, zwei Kinder bekommen, einen Haushalt geführt. Der Fokus lag lange Zeit ganz klar auf der Familie. Meine eigenen Bedürfnisse hatte ich zurückgestellt. Irgendwann nahm ich an einem Malworkshop teil. Dabei wollte ich gar nicht malen. Jedenfalls nicht im klassischen Sinn. Alles was ich wollte war Bilder auszuschneiden, übereinander zu kleben und sie mit Farbe zu kombinieren. Das ist bis heute so geblieben.

 

Alles was ich wollte war Bilder auszuschneiden, übereinander zu kleben und sie mit Farbe zu kombinieren.

Katja Berger

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Deine ersten Arbeiten hast du für Familie und Freunde gemacht, irgendwann kamen dann Auftragsarbeiten dazu, wie jene für den Kulturverein Bahnhof in Andelsbuch.

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Die Arbeit für den Kulturverein hat einiges in Bewegung gebracht. In der Öffentlichkeit und – was vermutlich noch viel wichtiger ist – auch in mir selbst. Ursprünglich ging es darum eine Leihgabe des Landesmuseums, das den bekannten Politiker Jodok Fink zeigte, durch eine meiner Collagen zu ersetzen. Ich kaufte mir also eine 2 mal 2,5 Meter große Leinwand und begann zu arbeiten. Ich sah mir dutzende Portraits von Jodok Fink an, las Berichte und Bücher über ihn, dennoch entstand nichts. Ein Gefühl, das ich so noch nicht kannte. Schon zu Lebzeiten wollte sich Jodok Fink nicht portraitieren lassen, vielleicht sollte das auch über seinen Tod hinaus so blieben. Über Umwege stieß ich dann auf die Geschichte seiner ältesten Tochter Katharina. Sie bahnte sich den Weg in die Herzen der Menschen, denen sie begegnete und in meinem Fall auch auf die Leinwand.

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Eine starke Frau, die dich auch persönlich an Grenzen geführt hat.

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Oh ja! In einem alten Buch fand ich ihr Bild, es hat mich vollkommen in den Bann gezogen. Ich wollte alles über diese Frau wissen. Zuerst klebte ich ihr Porträt neben das ihres Vaters. Aber ich merkte, dass sie stärker war. Sie hat alles eingenommen, der Vater wurde kleiner und kleiner, bis er sich nur mehr in ihrem Mantel zeigte. Ingesamt wurde das Bild zig-mal überarbeitet. Die Farbe des Kleides wechselte von gelb zu rosa, ich gab ihr Dinge in die Hand, nur um sie später wieder zu entfernen. Ein dorniger Prozess, der darin gipfelte, das Bild im Gartenteich versenken zu wollen. Ich habe es nicht getan und solange weitergemacht bis Jodoka zufrieden war. Sie verlangte eben nach etwas Besonderem.

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Wie haben die Menschen auf das Gemälde reagiert?

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Sehr unterschiedlich. Wir zeigten das Bild im öffentlichen Raum. Der Pfarrer in Lech hat ihr während der Fastenzeit einen eigenen Platz in seiner Kirche zuerkannt. Das Interesse an einem Frauenporträt war groß, dennoch hat Jodoka noch immer keinen festen Platz gefunden. Vielleicht, weil es noch so viel zu erzählen gibt und das Bild möglichst viele unterschiedliche Menschen erreichen möchte. Jodoka hätte es bestimmt gefallen mit ihrer Idee einer starken Frau auf Reisen zu gehen.

 

Dieses Werk war für mich deshalb so wichtig, weil ich zum ersten Mal meine schöpferische Kraft in ihrer ganzen Intensität gespürt habe.

Katja Berger

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Woran denkst du wenn du mit einem Werk beginnst. Sind deine Wände am Beginn der Arbeit tatsächlich weiß?

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Meine Leinwände sind niemals nur weiß. Ich sehe die Dinge klar vor mir. In Wahrheit beruht alles auf Intuition, das setzt einen Prozess in Gang. Für mich fühlt es sich an, als ob mich jemand leiten, mir nach und nach Dinge in die Hand geben würde. Ich kann diesen Prozess selbst schwer erklären, weil meine Kunst sich nicht im Kopf sondern tief im Herzen abspielt. Sie ist ein Gefühl das sich seinen Weg nach außen sucht. Vielleicht ist das der Grund, warum ich meine Bilder nur schwer erklären kann. Sie sind, was sie sind.

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Wie hat sich deine Art zu arbeiten über die Jahre verändert?

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Ich habe immer schon alles gesammelt, Dinge aus Zeitungen und Büchern ausgeschnitten. Dabei reizte es mich, Dinge zu verbinden, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hatten. Ich setzte Fotografien, Bild- und Textausschnitte in einen völlig neuen Kontext. Das ist bis heute so geblieben. Früher schrieb ich Wörter und kleine Sätze in meine Collagen. Heute will ich meine Bilder nicht einmal mehr signieren. Anfangs brauchte ich die Schrift, um meine Kunst zu erklären, so als könne sie nicht für sich selbst sprechen. Heute geht es in meinen Bildern um Reduktion, um mehr Ruhe.

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Deine Welt wäre ohne Kunst ärmer, könntest du dir vorstellen in Zukunft einmal darauf zu verzichten?

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Nein. Ich möchte den kreativen Prozess nicht mehr missen. Wenn ich arbeite, ist meine Welt perfekt. Es schenkt mir vollkommene Zufriedenheit und innere Befriedigung. In der Vergangenheit musste ich viele Rollen ausfüllen. So schön die Zeit auch war und so sehr ich meine Familie liebe, ich könnte mir durchaus vorstellen, nur für die Kunst zu leben. Das sagt sich natürlich leichter, wenn man weiß, dass die Kinder gut versorgt sind und ihren Weg auch ohne mein Zutun gehen werden.

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Woran arbeitest Du gerade und wohin führt Dich dein Weg?

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Aktuell arbeite ich gerade an einer Serie über Amnesty International. Jedes Bild behandelt ein Menschenrecht. Das ist berührend und zwingt mich dazu, die Vielschichtigkeit des Themas zu verstehen. Ab 3. Mai 2019 werden die Bilder in einer Ausstellung in Lindau zu sehen sein.

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Seit wenigen Tagen weißt Du, dass Du in die Berufsvereinigung bildender Künstler Vorarlbergs aufgenommen wurdest. Ein Ritterschlag für Autodidakten wie dich. Was bedeutet es dir?

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Es hat mich wirklich sehr gefreut, wie überhaupt sehr vieles, was in letzter Zeit passiert ist. Es hat mit einem Kunstprojekt für die Ars Electronica begonnen, das ich gemeinsam mit Eveline Wandl-Vogt und Jose Luis Preza Diaz von der Akademie der Österreichischen Wissenschaften und Kuratorin Penesta Dika umsetzen durfte. 2020 werden wir mit diesem Projekt in der Art Box des Wiener Museumsquartier zu sehen sein. Was danach kommt, ist wie vieles in meinem Leben offen. Eine Triebfeder meiner Arbeit ist die Sammelleidenschaft. Der Amnesty Buchladen in Lindau bekommt wöchentlich eine Lieferung Bücher. Viele davon, die doppelt, vermodert oder unbrauchbar sind, wirft man in die Mülltonne. Ich hole sie von dort in mein Atelier, sehe sie durch, löse Dinge die mich berühren heraus und ordne sie. Zum Schluss trenne ich die Buchdeckel vom Rest und lege sie fein säuberlich übereinander. Irgendwann brauche ich sie. Soviel ist jetzt schon sicher.

 

KATJA BERGER