Helena Jordan

WP: Weisses Papier
HJ: Helena Jordan

WP
Nehmen wir an, Du müsstest Dich in einigen wenigen Worten beschreiben, welche wären das?

HJ
Ehrgeizig, perfektionistisch, passioniert,
wissbegierig bis hin zu neugierig, fair

WP
Das sind starke Eigenschaften, nichtsdestotrotz treffen sie auf viele Menschen zu. Machen sie wirklich den großen Unterschied aus?

HJ
Es ist die Umgebung, der Kontext der den Unterschied ausmacht und der diese Eigenschaften einmal mehr und einmal weniger in Erscheinung treten lässt. Im privatem Umfeld bin ich unkompliziert, spontan und lustig. Im professionellen Umfeld hebe ich mich durch meine genaue Arbeit ab. Manche nennen mich streng. Hier in den USA höre ich dann oft, dass das meine deutsche Seite ist. Was sie damit sagen wollen ist, dass ich gut Schritte vorausdenken und somit Fehler auch bei anderen abfangen kann. Das kann dann mitunter auch sehr bestimmt sein (lacht). Ich habe gelernt meine Schwächen anzuerkennen und gleichzeitig meine Stärken selbstbewusst nach außen zu tragen. Früher war ich im ständigen Zweifel, ob man sich selbst loben und seine Stärken laut ansprechen darf, weil da immer auch ein wenig Arroganz und Überheblichkeit mitschwingt.

WP
Du arbeitest seit einigen Jahren in der Gastronomie, hast viele Länder bereist, Produzenten besucht, Praktika absolviert. War das eine Möglichkeit aus der gastronomischen Blase auszubrechen, in der man mit den immerselben Menschen redet, von denselben Produzenten bezieht, und dieselben Zeitschriften und Bücher liest?

HJ
Ich fühle mich als würde ich immer noch in der Blase wohnen. Zwar nicht wie bisher in meiner Wiener Blase, aber in einer gastronomischen. Wenn du so viel Zeit mit der Arbeit verbringst und sich deine Hobbys um Wein, Bier und Essen drehen, ist es schwierig dem zu entkommen. Durch meine Reisen habe ich neue Leute innerhalb dieser Blase kennengelernt und so ist sie gewachsen. In Richtung der Winzer schon etwas länger, durch die enge Zusammenarbeit mit dem „Stone Barns Center“ nun aber auch in Richtung der übrigen Landwirtschaft. Eine Familie ist es immer noch. Es hängt eben alles zusammen.

WP
Sichere, eingefahrene Wege zu verlassen macht vielen Menschen Angst. Warum hast Du es dennoch getan?

HJ
Genau aus diesem Grund. Weil mir die Blase zu eng geworden ist und ich Platzangst bekommen habe. Das hat rein gar nichts mit Mut zu tun, sondern lediglich damit, dass ich Angst hatte, es könnte mir die Decke auf den Kopf fallen.

Let’s cross the bridge when we get there.

Helena Jordan

Zuhause zu bleiben wäre vermutlich sogar mutiger gewesen, aber dann hätte ich später bereut es nicht versucht zu haben. Die Frage, wie es denn gewesen wäre, hätte an mir genagt und mir in Summe noch viel größeres Unbehagen bereitet. In der Gewissheit aufzugeben, es wenigstens probiert zu haben, ist mir immer noch lieber, als die Komfortzone vor lauter Angst erst gar nicht verlassen zu haben. Alle großen Entscheidungen meines Lebens beruhen auf diesem Grundsatz.

WP
Das heißt aber auch, dass Du keine Angst vor schwierigen Umständen hast und sie eher als Herausforderung denn als Bürde betrachtest?

HJ
Was für eine Frage. Ich kann mir keinen Lernprozess in einfachen Verhältnissen vorstellen. Selbst nach langem Nachdenken nicht. Nein, ich bin noch nie an einfachen Verhältnissen gewachsen. Viel schöner ist es doch, wenn man sich aus eigener Kraft und Arbeit befreien kann, und aus den schwierigen Umständen am Ende einfache werden.

WP
Wer oder Was hat dich in der Vergangenheit am meisten geprägt?

HJ
Wieviel Zeit hast Du? (lacht) Es sind eine Menge Menschen, sodass ich gar nicht alle aufzählen kann. Viel von dem was ich heute bin, habe ich aber Klaus Piber zu verdanken, der in mir etwas gesehen hat, das mir selbst nicht bewusst war. Der auch dann an mich geglaubt hat, wenn ich schon lange aufgegeben hatte. Ich wünsche jedem jungen Gastronomen einen erfahrenen Menschen an seiner Seite der einen aus der Komfortzone holt. Mir hätte nichts Besseres passieren können. Gleich an zweiter Stelle kommt Judith Mehofer, die mich auf meinem Selbstfindungs-Trip durch Südamerika begleitet hat. Die mich überhaupt dazu gebracht hat diese Reise zu machen. Sie hat meinen Führungsdrang und meine miese Laune ertragen, meine Tränen getrocknet und über meine schlechten Witze gelacht. Eine Reise die mich bestimmt mehr beeinflusst hat, als ich mir derzeit eingestehen kann.

WP
Du hast mir einmal erzählt, dass Du deinem Umfeld mit deiner Perfektion auf die Nerven gehst. Ist das immer noch so, oder gibst Du diese Perfektion hin und wieder zugunsten von Leidenschaft und Übermut auf?

HJ
Klar, im täglichem Serviceablauf zum Beispiel, wenn man schnell reagieren muss. Mir ist lieber der Gast bekommt sofort und reibungslos was ihm fehlt, als dass ich nach dem richtigem Unterteller suche. Da kann man ruhig Abstriche machen, schließlich ist es der Gesamteindruck der am Gast ankommt. In meinem privaten Leben bin ich nicht so perfektionistisch, da können Leidenschaft und Übermut machen was sie wollen.

WP
Detailverliebtheit ist wichtig, der Blick fürs Große Ganze aber auch. Wo würdest Du Deinen Schwerpunkt setzen?

HJ
Ich bin ganz klar der „Große Ganze“-Typ. Wobei das „Große Ganze“ nur dann funktioniert, wenn das Team bereit ist, sich in die kleinste Kleinigkeit zu verbeissen. Der Manager oder Captain ist dann für das Zusammenspiel zuständig. Wenn der Rest des Teams ungenau arbeitet, ist das Schiff am sinken. Es kommt also auf deine Rolle im Team an, und darauf worauf du dich konzentrieren solltest. Es ist die Aufgabe des Managements die Rollen richtig zu verteilen.

WP
Nach oben ist immer Luft, vor allem wenn man Mitte 20 ist. Woher nimmst Du Deine Inspiration und das nötige Vertrauen sie auch umzusetzen?

HJ
Sie kommt von den Menschen zu denen ich aufschaue. Das Wissen, dass ich nichts vorausplanen kann und sich die Wege erst eröffnen wenn ich sie gehe, gibt mir das Vertrauen. Die letzten Jahre haben mich gelehrt, dass ein fixer Plan oft nicht hält. Hättest du mir vor einem Jahr gesagt, dass ich im Blue Hill arbeiten werde, ich hätte gelacht. Die Gewissheit immer heim kommen zu können, und die Unterstützung von Familie und Freunden nehmen mir zur Zeit jegliche Angst. Ich habe große Pläne, aber noch keine Ahnung wo und wie und was. „Let’s cross the bridge when we get there.“

WP
Friedrich Dürrenmatt sagte einmal „Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall.“ Was sind die „Zufälle“ deines Lebens?

HJ
Das Zusammentreffen mit Menschen wie Judith (Mehofer) zum Beispiel. Damals sind wir spät Abends an einer Bar gesessen und haben Wein getrunken, als sie mich spontan gefragt hat, ob ich Lust hätte nach Südamerika zu reisen. Ich hab einfach ja gesagt. Geplant sieht anders aus. Später haben wir dann noch eine Weinlese in Spanien drangehängt. Das war ebensowenig vorhersehbar und hat mein Leben unglaublich beeinflusst. Ich bin plötzlich in der Wein- und Sommelierwelt  gelandet und habe viele wundervolle und inspirierende Menschen kennengelernt. Sie haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich bin wer ich heute bin.

WP
Du warst eine von wenigen Auserwählten die ein Stipendium der „Fundaziun Uccelin„ von Andreas Caminada ergatterte, und ein halbes Jahr durch die Welt geschickt wurde um Erfahrungen zu sammeln. Im „Per Se“ bei Thomas Keller wurde deine Arbeit so sehr geschätzt, dass man dich kurzerhand behalten wollte. Was bedeutet Dir Erfolg?

HJ
Das Per Se hat mich sehr beeindruckt. Das Angebot bleiben zu dürfen und die Enttäuschung der Manager als ich sagte, dass ich ins Blue Hill wechseln werde, haben mich stolz gemacht. Erfolg heißt, sich unter vielen anderen Mitarbeitern abzuheben und aufzufallen. Das ist mir offensichtlich gelungen. Ich weiss, dass ich jederzeit ins Per Se zurückkommen könnte. Solche Erfahrungen stärken mein Selbstwertgefühl, pushen mich, weil ich weiß, dass da draussen noch viel auf mich wartet. Was genau das ist, kann und will ich noch nicht sagen. Womit wir wieder am Anfang unseres Gesprächs wären.

WP
Du bist gerade erst dabei dein Blatt Papier zu beschreiben, deinen Weg zu finden, Dinge auszuprobieren und wieder zu verwerfen. Wie sieht Dein Leben wohl in 10 Jahren aus?

HJ
10 Jahre sind eine lange Zeit. Ich werde dann wahrscheinlich immer noch nicht angefangen haben Sport zu machen und habe vermutlich zu viele Flaschen Wein im Keller – falls ich überhaupt einen Keller habe. Ich werde einen Job haben den ich liebe, sonst würde ich ihn nicht machen. Bestimmt reise ich viel und besuche all die tollen Menschen rund um den Globus, die ich über die Jahre kennen gelernt habe. Beziehungsstatus? Keine Ahnung. Berufsbezeichnung? Was weiß ich. Wohnort? To be announced.
Auf jeden Fall hab ich viel zu erzählen und wenig zu bereuen. Das wäre jedenfalls das Ziel.