Paul Ivic

WP: Weisses Papier
PI: Paul Ivic

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Du stehst in der Mitte des Lebens, hast viel erreicht und noch mehr ausprobiert. Wenn Du Dich in einigen wenigen Worten beschreiben müsstest, welche wären das?

PI
Hinterfragender, oft hadernder Kopfmensch, der damit kreativ-spielerisch umgeht und dabei intuitiv und kraftvoll mit seinem Herzen handelt

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Wer Dich kennt, sieht Dir einige dieser Attribute förmlich an, aber unterscheiden sie Dich von anderen Menschen/Köchen deiner Generation? Oder anders gefragt: macht es Dich unverwechselbar?

PI
Keine Ahnung. Wichtig ist, dass es mich nicht weichgekocht, sondern nur im Rohzustand gibt. Alles andere ist mir offen gestanden egal.

WP
Österreichs Spitzengastronomie besteht aus einer kleinen, überschaubaren Gruppe von Menschen. Da hat es manchmal den Anschein, dass man sich innerhalb dieses Zirkels im Kreis dreht, es wenig echte Überraschungen gibt. Unser Verstand ist auf Vorurteile konditioniert. Die gilt es für sich zu nutzen oder eben an der richtigen Stelle zu durchbrechen. Wie differenziert sich das TIAN, oder besser gesagt, womit sorgt Paul Ivic für Überraschungen?

PI
Die absolute Spitze der österreichischen Köche hat ihre eigene DNA gefunden. Die gilt es stetig weiterzuentwickeln. Mag sein, dass wir dieselben Zeitschriften lesen, von denselben Produzenten beziehen, aber wir haben auch alle das gleiche ABC in der Schule gelernt und dennoch schreibt und liest jeder anders. Wichtig ist, sich auf sich selbst zu konzentrieren, auf die Weiterbildung der Mitarbeiter zu achten, die Frage wie ich mich von anderen unterscheide, stelle ich mir gar nicht. Ich bin weder Fisch noch Fleisch, ich bin Gemüse. Das ist Unterschied genug (lacht).

WP
Du scheinst sehr bei dir zu sein, deinen Weg bereits gefunden zu haben. Wer oder Was hat Dich in der Vergangenheit am stärksten geprägt?

PI
Es waren viele gute Köpfe. Visionäre, leidenschaftliche Menschen, manche von ihnen waren streng, andere gutmütig. So unterschiedlich sie waren, sie hatten eines gemeinsam: Den Mut die Dinge nicht einfach hinzunehmen, und sich auch in schwierigen Zeiten treu zu bleiben. Das gilt übrigens auch für meine Eltern, die sich über meine rebellischen Züge zwar oft gewundert haben, selbst aber kein bisschen besser waren. Beide hatten den Mut sich über Vorurteile und Widrigkeiten hinwegzusetzen und haben sich für die Liebe zwischen einem „Ausländer“ und einer „Einheimischen“ entschieden. Im Tirol der damaligen Zeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie folgten ihren Gefühlen, das prägt.

WP
Manche Erfahrungen sind schmerzhaft, sind oft das Ergebnis von Fehlern. Es heißt, dass man am meisten aus seinen Fehlern lernt, dennoch ist es immer noch verpönt welche zu machen. Wie steht es um Deine eigene „Fehlerkultur“?

PI
Der Irrglaube, dass man aus Fehlern klug wird, ist gerade unter Managern weit verbreitet. Ich sehe das ein wenig anders. Unternehmen, die ihren Führungskräften zu viele Fehler zugestehen, verfolgen die falsche Strategie. Denn Fehler sind nicht nur dumm, sondern vor allem auch verantwortungslos und unprofessionell. Fredmund Malik hat es auf den Punkt gebracht, indem er meinte: „Sie würden sich ja auch nicht von einem Herzchirurgen operieren lassen, der eine Fehlerkultur duldet?“. Dieser Satz hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und ist die Grundlage für meine Arbeit. Erst wenn man davon ausgeht, keine Fehler machen zu dürfen, kann man den Grundsatz lockern und zu differenzieren beginnen. Dann kann man entscheiden wann, wo, von wem und unter welchen Umständen Fehler gemacht werden dürfen, und welche von ihnen in jedem Fall zu unterbleiben haben. Fehler müssen dort in Kauf genommen werden, wo man es mit Anfängern zu tun hat, wo Leute ausgebildet und eingearbeitet werden. Das geschieht in aller Regel aber abseits des laufenden Geschäfts, unter Aufsicht und Anleitung, solange bis man sich einigermaßen sicher sein kann, dass nichts mehr passieren kann. 
Ich selbst hatte niemals die Absicht Fehler zu machen, gemacht hab ich sie trotzdem. Würde ich durch meine mit der Zeit gewonnen Erfahrungen in manchen Situationen anders handeln? Mit Sicherheit!

Denken verhindert, Machen lässt entstehen.

Paul Ivic

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Einen eigenen Stil zu entwickeln ist demnach eher ein Ergebnis des Denkens, oder eines des Tuns?

PI
Ich bin ein Mensch der Tat, der aber oft mit seiner eigenen Unzufriedenheit und seinen Zweifeln hadert. Darüber denke ich sehr viel nach. Aus diesem Hadern kommen meine stärksten Impulse. Sie sind mein Antrieb, aus ihnen kommt die Gewissheit weitergehen zu müssen.

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Martin Walser sagte einmal, dass man unter seinem Niveau bleibt, wenn man stets begreift was man tut. Wie flexibel ist jemand dessen Tagesabläufe strengen Regeln folgen und für den Dinge wie Disziplin und Planbarkeit unerlässlich sind?

PI
Ohne Eigendisziplin gibt es keinen dauerhaften Erfolg und ohne Flexibilität gibt es kein Wachstum. Das fängt schon beim Gemüse an. Mein oberstes Prinzip ist es, nur die beste Qualität zu verarbeiten die ich finden kann. So etwas zu planen ist schwierig, schließlich ist das Wetter und die Natur nun einmal nicht berechenbar. Über die Jahre sammelt man Erfahrungen, reift und wächst daran. Man weiß was man tut, aber noch viel mehr weiss man was man nicht tut.

WP
Unsere Art zu essen hat sich verändert, mit ihr haben sich auch die Köchinnen und Köche unserer Zeit verändert. Sie sind zu „Role Models“ geworden, zu Ikonen in einer Zeit in der der Durchschnittsmensch immer weniger in der Küche steht. Ist es die Sehnsucht nach dem trauten Heim am Herd, der Idylle des Privaten, die hier Regie führt?

PI
Wir brauchen gute Vorbilder. Sie sind Impulsgeber, treiben Dinge voran, geben sich nicht zufrieden, sind Kämpfer und Unterstützer, Bewahrer und Erneuerer im Erhalt der Vielfalt und des Wissens. Vielen Menschen steht zu Hause der Faktor Zeit im Weg. Die Zeit am Herd wird zum knappen Gut, das man zugunsten anderer Aktivitäten in die zweite Reihe stellt. Dabei ist Essen unser größtes Kulturgut. Es verbindet und nährt, weshalb es noch mehr im Zentrum des Interesses stehen sollte. Diesen Umstand zu fördern, ist unter anderem die Verantwortung unserer Berufsgruppe. Das sollten wir uns bewusst machen.

WP
Du hast Spuren hinterlassen, bist Österreichs einziger vegetarischer Haubenkoch. Wenn Du noch einmal so dumm und so rein wärst wie weisses Papier was würdest Du anders machen?

PI
Meine Spuren sind unfertig, ich hoffe, dass sie noch tiefer und ausgeprägter werden. Da gäbe es genug, was ich anders machen würde, doch das Leben ist Entwicklung. Jede Erfahrung hat ihren Platz und hat ihren Teil zum Endergebnis beigetragen. Den Stift zu meinem weissen Blatt Papier halte ich selbst in der Hand. Ein makeloses Blatt würde bedeuten nicht gelebt zu haben. Es schaut zwar schön aus, ist bei näherer Betrachtung aber steril und ohne lebendige Geschichte. Würde ich wissen was kommt, wäre mein Leben vielleicht einfacher, aber auch um vieles langweiliger und ärmer. Meine Gedanken sind wie das Wetter: nicht vorhersehbar, nicht steuerbar und schon gar nicht planbar.