Heinz Reitbauer

WP
Fergus Herderson sagte einmal, die Beziehung zwischen Koch und Schwein sei stark. Seine Art, die Dinge zu tun, wurde zu einem Manifest einer kulinarischen Bewegung. Wie stark ist Deine Beziehung zum Schwein.

HR
Als wir mit unserer Landwirtschaft vor 25 Jahren begonnen haben, haben wir Lämmer und Ziegen gehalten. Schwein war da kein großes Thema. Unser Bauer hat uns daran darauf gebracht und wir haben begonnen, eine klassische „Haussau“ zu halten. Dieser Grundzugang hat sich dann über die letzten 15 Jahre entwickelt. Das Schwein wurde zum fixen Bestandteil unserer Landwirtschaft und damit auch unserer Küche. Auch wenn das Schwein international gar nicht am Radar war.

WP
Ihr macht an euren beiden Standorten (Anmerkung: Steirereck im Wiener Stadtpark und Steirereck am Pogusch) also keinerlei Unterschiede, was die Haltung zu den Dingen und in dem Fall zum Schwein betrifft?

HR
Nein, wir verarbeiten alles von Kopf bis Fuß. Das gilt für das Schwein, für das Kalb und überhaupt für alle Lebensmittel. Nichts darf umsonst gewesen sein. Denn in all dem steckt viel Arbeit und Hingabe. Von den Landwirten und auch von uns. Der Pogusch braucht vielleicht dort und da etwas anderes als der Stadtpark, aber genau das gibt uns die Möglichkeit, ganzheitlich zu denken.

WP
Lass uns über Haltungsbedingungen reden. Worauf kommt es euch bei der Haltung eurer Schweine an?

HR
Die Rasse, die sich für uns über die Jahre etabliert hat, ist eine Kreuzung aus Schwäbisch Hällisch und Duroc. Wenn man das Schwein von Kopf bis Fuß verarbeitet, ist das einfach eine ideale Rasse. Die Tiere leben von Anfang an im Freiland, gerade haben wir den Freilauf um 2ha erweitert, um ihnen noch mehr Raum zu geben. Geschlachtet wird mit etwas mehr als einem Jahr. Ich würde mir wünschen, dass die Tiere noch ein wenig älter werden dürfen, aber da suchen wir erst nach dem richtigen Rhythmus. Wir füttern wenig zu, weil in unserer Küche genügend abfällt. Hier kommt uns die Tatsache zugute, dass wir gerade in Wien eine sehr gemüselastige Küche pflegen. Da fällt immer etwas ab. Rohe Gemüsezuschnitte, aber auch Gekochtes wie beispielsweise Erdäpfel. Wenn wir von Wien hierher auf den Pogusch fahren, ist unser Auto voll mit Gemüseabfällen. Ein seltsamer Anblick, für den uns unsere Schweine wirklich dankbar sind. (lacht)

 

Es würde schon helfen, wenn wir wieder anfangen würden, mit unseren Kindern zu den Bauernhöfen zu fahren.

Heinz Reitbauer

 

WP
Schweinefleisch hat ein schlechtes Image. Über die Jahre ist es zur Massenware geworden. Was können wir tun, damit gutes Fleisch wieder zurück auf die Teller findet?

HR
Lebensmittelbesorgung an sich ist ein großes Thema, dazu die eigene Moral, plus natürlich die Alltagssituation jedes Einzelnen. Ich glaube daran, dass sich prinzipiell jeder gut ernähren will, aber die Situation es nicht immer zulässt. Zudem fehlt oft das Verständnis für die Dinge. Die meisten Lebensmittel sind einfach und billig verfügbar, das Verständnis für artgerechte Tierhaltung, die dann auch einen angemessenen Preis hat, fehlt. Ich will aber keinesfalls die Moralkeule auspacken. Es würde schon reichen, wenn wir wieder anfangen würden, mit unseren Kindern zu den Bauernhöfen zu fahren. Danach kann jeder selbst entscheiden, was er oder sie für gut und richtig hält. Das würde viel erklären und der Entfremdung von Mensch und Produkt entgegenwirken.

WP
Könnte eine solch positive Veränderung auch über den Geschmack herbeigeführt werden? Oder anders gefragt: Womit kann man seine Gäste „erziehen“?

HR
Ich glaube, dass man viel über das Thema Zeit erreichen kann. Hier am Pogusch ist es uns wichtig, dass die Menschen miteinander am Tisch sitzen, sich Zeit zum Reden nehmen und wir ihnen dafür den Rahmen bieten. Oft essen die Leute allein, sind in Eile, vor dem PC. Bei uns ist Essen ein Kulturgut. Man pflegt es und nimmt sich Zeit. In einer solchen Atmosphäre können wir etwas bewirken, positiv beeinflussen und dem einen oder anderen Gast etwas Vertiefendes mitgeben. Das muss nicht viel sein, aber irgendwas bleibt immer hängen. Damit sich ein Geschmack etablieren kann, muss man ihn erleben. Und das nicht nur einmal. Wenn wir uns dem Neuen verschließen wird es nie passieren. Natürlich dürfen wir dabei niemanden überfordern, sondern die Gäste abholen und weiterführen.

 

Der Pogusch war der Lebenstraum meiner Eltern. Jetzt ist er zu unserem geworden.

Heinz Reitbauer

 

WP
Sich gegenüber Neuem zu öffnen, fällt nicht jedem leicht. Hier am Pogusch hat sich in den letzten Monaten viel geändert. Wie habt ihr diesen Prozess selbst erlebt?

HR
Der Pogusch war der Lebenstraum meiner Eltern. Sie wollten damals schon Landwirtschaft und Gastronomie verbinden. Es war die Rückkehr zu ihren Wurzeln. Als ich den Betrieb in den 90er Jahren gemeinam mit meinen Eltern gekauft habe, war es für mich die Küche, die im Vordergrund stand, die Schönheit und die Potenziale dieses Ortes habe ich kaum bemerkt. 2005 sind meine Frau und ich dann nach Wien gegangen und haben hier nur noch unterstützt, wenn es nötig war. Irgendwann kam dann die Frage auf, ob wir beide Betriebe führen wollen und können. Die Entscheidung ist schnell gefallen. Meine Frau und ich wollten Landwitschaft leben. Genauso wie meine Eltern davor.

WP
Wie lange habt ihr gebraucht, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen?

HR
Wir haben uns viel Zeit genommen, haben überlegt, wohin die Reise gehen soll. Das war ein Prozess von etwas mehr als drei Jahren. Wir haben jeden Raum, jede Idee durchgespielt, haben Pläne gezeichnet und ein Modell gebaut. Erst danachg haben wir einen Arichtekturwettbewert ausgeschrieben. Dieser Ort ist Entwicklung, er ist noch lange nicht fertig. Und das soll er auch nicht sein. Lebendigkeit und Vielfalt sind die treibenden Kräfte, um in Bewegung zu bleiben.

WP
Was sind die zentralen Aspekte des Konzepts, das ohne Zweifel als Gesamtkonzept bezeichnet werden kann?

HR
Produkt und Mensch stehen im Mittelpunkt. Das ist es was wir zeigen wollen. Dabei legen wir besonderen Wert auf Transparenz, das fördert das Verständnis für den Wert einer Sache. Wir wollen diese Werte sichtbar machen, alles andere ist sekundär. Damit meine ich auch, dass ich mich als Koch und Unternehmer bewusst zurücknehme. Im Zentrum steht das Lebensmittel, das Produkt an sich. Ein Produzent sagte mir einmal, dass wir Köche aus seinem Produkt etwas ganz anderes machen und er es am Ende nicht mehr erkennt. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Es ist mir wichtig, dass das Produkt in seiner Ursprünglichkeit erhalten und sichtbar bleibt, und wir uns mit unserer Arbeit nicht zu sehr in den Vordergrund drängen.

 

 

Dass wir unsere Tischtücher aus dem Steirereck reparieren und ungebügelt auf die Tische am Pogusch legen, ist Upcycling in seiner schönsten Form. Ein Statement das ankommt.

Heinz Reitbauer

 

WP
Wie könnt ihr diesen Ansatz im Alltag umsetzen und die Gäste dabei mitnehmen?

HR
Es dauert lange, bis man den richtigen Rhythmus findet und jedes Produkt respektvoll behandeln kann. Da ist viel Improvisation gefragt, es ist ein ständiger Lernprozess. Ein großer Schritt war die Umstellung der Speisekarten, das Anpassen an die Verfügbarkeit der Produkte. Wir schlachten ein Mal pro Woche. Die Tiere kommen aus der eigenen Landwirtschaft, oder aus der nahen Umgebung. Alle paar Wochen schlachten wir dann ein ganzes Rind. Diesen Rhythmus bilden wir in unserer Karte ab. Am Samstag gibt es steirisches Milchkalb, am Donnerstag Innereien, am Freitag Fisch und so weiter. Es versteht sich bei diesem Ansatz von selbst, dass es nicht immer alles gibt. Wenn gewisse Stücke wie Schulter oder Steak aus sind, sind sie aus. Auch wenn das nicht immer alle Gäste verstehen. Uns geht es darum, transparent und ehrlich zu sein, nicht zuzukaufen oder zu konservieren, nur damit immer alles verfügbar ist. Das ist und bleibt eine Gratwanderung und eine echte Herausforderung. Dennoch ist bereits viel in Bewegung gekommen, auch bei unseren Mitarbeitern. Sie kommen heute nicht deshalb, weil die Küche außergewöhnlich ist, sondern weil Küche, Natur, Produktkenntnis und Landwirtschaft an diesem Ort zusammenkommen. Das ist unsere DNA. In Wien und auch hier. Ich glaube, das spürt man.

WP
Ansätze wie diese haben ihren Preis. Wie realistisch kann man diesen Preis abbilden?

HR
Ein schwieriges Thema. Wir führen unsere Landwirtschaft seit über 25 Jahren, jedes Jahr haben wir dazugezahlt. Sie aufzugeben, ist dennoch nie infrage gekommen. Weil es uns darum geht, ein kostbares Produkt anzubieten. Zu definieren, wie viel ein solches Produkt kosten darf, um kostbar zu bleiben, ist Aufgabe der Gesellschaft. Es muss unsere gemeinsame Anstrengung sein, diesen Lebensmitteln die entsprechende Wertschätzung entgegen zu bringen. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, aber es lohnt sich weiterzumachen. Für Mensch und Tier. Für uns alle.

Interview: Barbara Klein
Fotografie: Kurt Bauer