Stefan Krispel
Vermutlich ist Stefan Krispel mehr Unternehmer als Weinbauer. Eine Tatsache, die er sich nicht immer so leicht eingestanden hat, denn mit Weinbau verbindet man gerne schmutzige Gummistiefel und harte Arbeit. Nicht, dass das Unternehmersein weniger harte Arbeit wäre, allein es fehlt die Romantik. Stefan versteht sein Handwerk. Das des Weinbauers ebenso wie das des Gastgebers und Unternehmers. Weil er jeden Aspekt dieses Betriebes kennt und alles mehr als einmal mit eigenen Händen getan hat. Ohne Angst vor Fehlern, denn „die macht man ohnehin“, sagt er, egal wie viel Zeit man sich dafür lasse. Der Betrieb ist angesichts des Tempos schnell gewachsen. Da versteht es sich von selbst, dass man fortan nicht alles selbst machen kann. Aber warum auch, wenn es andere mindestens genauso gut können. Stefan ist ein Tausendsassa, er macht Dinge so lange, bis sie zum Selbstläufer werden. Dann übergibt er Aufgaben in vertrauensvolle Hände und begleitet nur noch. Vielleicht entwickelt sich ja mit dem frischen Blick des anderen etwas ganz Neues?
Als Stefan angefangen hat, im Betrieb mitzuarbeiten, war er knappe 18. Er ist mit dem Traktor gefahren, hat Reben geschnitten und alles gemacht, was sonst noch dazugehörte. „Irgendwann“, so sagt er, „hat man alles gesehen und hundertfach gemacht.“ Große Töne von jemandem, der gerade erst über 30 ist. Womit wir wieder beim Tempo wären. Ein hohes Tempo bedeutet immer auch ein hohes Maß an Wiederholungen und damit auch an Erfahrung. Dann schleichen sich für Stefan auch die gefährlichen Routinen ein. Zeit, loszulassen. Er nennt das „sich überflüssig machen“ und meint damit, andere machen zu lassen. Das schafft Raum für Neues und dafür, den Betrieb weiterzuentwickeln. Nach exakt diesem Muster ist auch das Genusstheater entstanden. Jahrelang hatte man eine erfolgreiche Buschenschank geführt, nun wollte man das gastronomische Konzept auf eine andere Ebene bringen, es klarer und fokussierter machen und dabei den Genuss in seiner schönsten Form abbilden. Das Genusstheater versteht sich dabei als Bühne und gleichzeitig als Zuhause der Familie. Wie das zusammengeht? Besser, als man denken möchte, denn auf dieser Bühne wird ausschließlich das aufgeführt, wofür die Familie Krispel steht. Es ist Abbild ihrer eigenen Haltung und Ausdruck ihrer Verbindung zur Region, weshalb es sich von den privaten Krispels auch gar nicht trennen lässt. Warum auch. Aus unternehmerischer Sicht, erzählt Stefan, sei sowas ein vollkommener Irrsinn. Denn es ist alles andere als leicht verdientes Geld. Nicht wenige hätten ihn gewarnt, ihn für sein Vorhaben sogar belächelt. Ihm war’s egal.
Das Genusstheater ist ganz klar eine Form der Selbstdarstellung. Aber eine ohne jede Eitelkeit. „Die bringt dich nämlich nicht weiter“, sagt Stefan. Auch wenn das Restaurant coronabedingt erst wenige Monate im Normalbetrieb läuft, ist vieles schon am Punkt, mindestens genauso viele Ideen sind aber noch in der Schublade. Allen voran die des Teilens. „Wie schön wäre es, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, nach dem Vorbild einer italienischen Großfamilie, und das Leben zu feiern“, schwärmt Stefan. Corona hat diesem Gedanken erst einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber die Idee ist immer noch im Kopf. Sie ist Teil einer Vision. Einer, in der es um den Moment geht. Um die äußeren Einflüsse, die sich mit den inneren verbinden.
Wenn Gericht, Wein, Ort und Menschen zu einem Gefühl werden, dann haben wir alles richtig gemacht.
Zusammengefasst ist Stefan mehr ein Umsetzer als einer, der allzu lange überlegt. Da wo andere zaudern, tut er einfach. Der Mensch ist eben ein neugieriges Wesen, das ständig lernt und in Bewegung bleibt. Geistige Beweglichkeit und dann und wann etwas Geduld. Das sei die perfekte Mischung, sagt er. Man drückt nicht ständig die Pedale durch und steht am Gas, auch nicht wenn man Stefan Krispel heißt. Man fährt der Situation angemessen, wie es die Strecke hergibt.
Abwechslung und Vielfalt sind dabei hervorragende Tempomaten. Das Leben fordert unterschiedliche Geschwindigkeiten – das Tempo des Gesprächs, der Auseinandersetzung, des Voneinanderlernens, aber auch der Abgrenzung. Das braucht Offenheit und die Fähigkeit, zuzuhören. Wer lernen will, braucht beides. Und Stefan will lernen. Idealerweise von den Besten. Wie ein Schwamm saugt er auf, was ihm richtig und wichtig erscheint. Er verschließt sich nicht, auch nicht vor den Ideen anderer. Ihm geht es um Entwicklung, nicht nur bei der Bewirtschaftung der Weingärten, dem Rebschnitt oder dem Traktorfahren, sondern bei allem. Dafür braucht der Mensch Verbündete. Menschen, denen man von seiner Idee erzählt und die sie dann in diesem Sinne weiterentwickeln. Gerade befindet sich der Betrieb in Umstellung auf biologische Landwirtschaft. Auch da orientiert sich Stefan an den Menschen die es bereits vorgemacht haben. Was für viele ein Schritt ins Ungewisse wäre, sieht Stefan auch hier pragmatisch.
"Die Arbeit mit der Natur ist komplex, dennoch operieren wir nicht am offenen Herzen. Vieles wurde probiert und dokumentiert. Dieses Wissens steht allen zur Verfügung. Man muss es nur filtern, das Richtige vom Falschen trennen und die eigenen Schlüsse ziehen."
Bei allem Pragmatismus bleibt Wein für ihn dennoch eine Gefühlssache. Das Verkosten und Ausbauen der Weine ist für Stefan daher auch nicht delegierbar. Das geht nur mit der eigenen Nase, dem eigenen Gaumen und dem eigenen Kopf. Man muss den Geschmack mit seiner Vorstellung davon abgleichen. Wein muss man spüren. Anders geht’s nicht.
Und was, wenn man dann endlich angekommen ist? Ein Ziel kann ein Zweck sein, aber gleichzeitig auch ein Ende. Als erstes fragt man sich: Wohin geht die Reise? Dann geht es mehr darum, was macht man eigentlich, wenn das Ziel erreicht ist. Ist dann jede weitere Bewegung zwecklos? Stefan beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Jüngstes Beispiel ist seine Hinwendung zur bildenden Kunst. Die spielt in seinem Leben mehr und mehr eine Rolle. Er hat angefangen zu sammeln. Angefacht hat diese Leidenschaft sein langjähriger Freund Andreas Stern. Er zeichnet nicht nur für den Umbau des Genusstheaters verantwortlich, sondern hat auch ein ausgezeichnetes Händchen für zeitgenössische Kunst. Schnell war klar, dass sich Stefan auch in dieses Thema vertiefen möchte. Kunst, so sagt er, berühre ihn, nehme in mit und löse etwas aus. Sie ist intuitiv und funktioniert auch ohne die ganz große Theorie dahinter. Darin sieht er Parallelen zum Wein. Beides sei für ihn extrem gefühlsbetont und gerade deshalb ein wunderbarer Ausgleich zum Alltag eines Unternehmers. Egal wohin die Reise geht, Stefan will berühren. Mit seinen Weinen und allem, was ihm künftig sonst noch einfallen wird. Darüber können auch noch so pragmatische und analytische Zugänge nicht hinwegtäuschen. Er wird weiterhin Grenzen ausloten und sichere Häfen bewusst verlassen. An den Grenzerfahrungen wird er spüren, wohin er sich entwicklen möchte. Denn Grenzen, so sagt er, bestünden ohnehin nur im Kopf. Es gilt sie zu überwinden.
Interview: Barbara Klein
Fotografie: Kurt Bauer